Japo­nismus und Imagi­nierte Japan­reisen

Die allgemeine Faszi­nation für Japan mit seiner Kunst und Kultur wurde von vielen Kunst­schaffenden geteilt — ein Phänomen, das als Japonismus bezeichnet wird. Fächer, Kimonos, Teetassen und Stell­schirme hielten schnell Einzug in die Bildwelten. Diese Art der Darstellung knüpfte an die frühe
Orientmalerei an: Im Fokus stand die Suche nach
interessanten, exotischen und andersartigen Motiven.

Dennoch war die japanische Kunst entscheidend für die Weiter­entwicklung der europäischen Moderne. Maler, die von der althergebrachten Salonmalerei enttäuscht waren, fanden in der japanischen Bildsprache einen Weg, sich von dem Illusionismus zu lösen. Besonders die »Entdeckung« und Rezeption des japanischen Farb­holz­schnitts (Ukiyo-e) hatte hieran seinen Anteil. Als Resultat entstanden individuelle Lösungsansätze, die als Reflexion auf die Erforder­nisse einer neu anbrechenden Zeit zu verstehen sind und Stil­richtungen wie den Impressionismus und den Jugendstil prägten bzw. hervorbrachten. 

Allerdings ging es den sogenannten Japonisten selten darum, sich fundiertes Wissen über Japan anzueignen. Vielmehr fand eine selektive Aufnahme statt, ausgehend von den individuellen Bedürfnissen der Kunst­schaffenden. Erschwert wurde der intellek­tuelle Zugang zur ostasiatischen Kunst dadurch, dass in Europa immer nur ein Teil der Werke isoliert vom ursprünglichen Kontext zu sehen war, sei es in Ausstellungen, in Sammlungen, im Kunst­handel oder aber in Form von Kunst­drucken.
So wurde Japans Kunst zumeist aus der eigenen Perspektive rezipiert und die eigentliche Substanz vernachlässigt.

Rudolf Swoboda d. J. (1859 — 1914)
Dame in japanischen Kostüm

Öl auf Leinwand
30,5 × 18 cm
Sammlung Peter Pantzer

Mit ihrem heiteren, etwas verschmitzten Gesichtsausdruck zieht uns die porträtierte Dame gleich in ihren Bann. Gedankenverloren spielt sie an einem Goldring, der ihren Ringfinger schmückt. Sie trägt einen roten, mit Blumen verzierten Kimono, der nur lose um den Körper gebunden ist. Die Ärmel sind hochgekrempelt, wodurch ihre schlanken Unterarme betont werden. 

Der Hintergrund ist mit goldenen Blumen geziert. Die Szene wirkt verspielt und ungezwungen, passend zu der Darstellungsform »a la Japonaise«, die für das Porträt gewählt wurde. Rudolf Swoboda d. J. war ein erfolgreicher österreichischer Maler in der Tradition der Orientmalerei. Für Queen Victoria fertigte er mehrere Auftragsarbeiten in diesem Stil an. In den 1880er-Jahren finanzierte sie Swoboda eine Reise nach Indien, um dort sein Themenrepertoire auszubauen.

Utagawa Kunisada (1786 — 1864)
Zwei Schauspieler

Farbholzschnitt
35,8 × 24,6 cm
Linden-Museum Stuttgart

Die dargestellte Szene stammt aus der Serie Hana soroi shussei kurabe, was so viel bedeutet wie Wettbewerb der Blumen, die ihre Gefühle ausdrücken, und zeigt zwei Kabuki-Schauspieler in emotionaler mie-Pose. Dabei verharren die Darsteller für kurze Zeit in äußerster Körperspannung und verdrehen ihre Augen. So soll das Publikum auf eine bedeutsame Darbietung im Stück aufmerksam gemacht werden.

Viele Sammler und Künstler der Avantgarde begeisterten sich für diese Art der japanischen Farbholzschnitte. Im Fokus standen dabei nicht die Inhalte, sondern die andersartigen Stilmittel: 

Die konventionelle japanische Bildsprache kennt ursprünglich keine Zentralperspektive. Stattdessen wird Räumlichkeit durch hintereinander gestaffelte Bildflächen suggeriert oder es entsteht eine flache Raumstruktur. Zudem wirkt der Verzicht auf Details, Schattenbildung und modellierende Tonwerte dem Naturalismus entgegen. Strukturierung erfahren die Grafiken durch kräftige Farben, modellierte und geschwungene, rhythmisch an- und abschwellende Linien sowie kontrastreiche Leerflächen. Ungewöhnliche Perspektiven, Vergitterungen, das Anschneiden von Objekten und Personen am Bildrand sowie dekorative Farbflächen waren weitere, für die europäischen Maler neue Stilmittel.

Raimund Germela (1868 — 1945)
Im Geishahaus

Öl auf Leinwand
60,5 × 75,5 cm
Sammlung Peter Pantzer

Wie die meisten Malerkollegen hatte auch Raimund Germala nie Japan besucht. Stattdessen stellte er sich Ostasien in seiner Imagination vor. Es ist eine männliche, erotisierte Vorstellungswelt, die der Künstler im Ölgemälde präsentiert. Darin unterhalten und bedienen mehrere Geishas zwei an einem niedrigen Tisch sitzende Männer. Durch einen Stellschirm und in Rückenansicht vor dem Blick der Gäste geschützt, entblößt eine der Damen ihren Oberkörper. Aus Perspektive der Bildbetrachtenden ist dieser Schutz jedoch aufgehoben, sodass wir die Brust der Geisha ungeniert studieren können.

Siegfried Berndt (1880 — 1946)
Steg am Seeufer

Farbholzschnitt
22 × 30,2 cm
Sammlung Peter Pantzer

Siegfried Berndt setzte sich sowohl mit der Technik als auch mit den Darstellungsmöglichkeiten des Ukiyo-e intensiv auseinander. Als Resultat entstand Steg am Seeufer, ausgeführt im Farbholzschnitt. Zwar war diese Technik auch in Europa bekannt und wurde beispielsweise in der Reformationszeit für die Verbreitung religiöser Inhalte verwendet, doch waren die Holzschnitte in Japan in handwerklicher und künstlerischer Hinsicht denen in Europa weit überlegen.

Thematisch und stilistisch bedient sich Berndt aus dem Repertoire japanischer Landschaftsansichten: In leichter Aufsicht wandert der Blick vom Ufer aus über ein ruhiges Gewässer hin zu einer sanften Hügellandschaft. Rhythmisiert wird die Szenerie durch einen langen, diagonal in das Wasser hineinragenden Steg sowie einem Mann mit Ruderboot. Diese Elemente finden wir wiederholt in den Ukiyo-e. Wie in den japanischen Drucken erzeugt Berndt Tiefe durch hintereinander gestaffelte Flächen, ferner verwendet er den charakteristischen dunklen Blauton, das sogenannte Berliner Blau. 

Die Farbpigmente wurden in den 1820er-Jahren aus Europa importiert und verhalfen den Landschaftsansichten Katsushika Hokusais (1760 — 1849) zu ihrem großen Erfolg.

Siegfried Berndt (1880 — 1946)
Seine-Brücke von St. Cloud

Farbholzschnitt
22,7 × 34,1 cm
Sammlung Peter Pantzer

Auch für die Grafik Seine-Brücke von St. Cloud wandte Siegfried Berndt die für ihn faszinierende Technik des Farbholzschnitts an. 

Die hohe Bedeutung, die der Künstler dem Medium gab, wird durch die Bezeichnung »Eigendruck« am unteren Bildrand deutlich. 

Betrachtet man das Sujet und die Bildgestaltung des Blattes, so zeigt sich, dass der Maler sowohl den japanischen Farbholzschnitt als auch den französischen Impressionismus rezipierte. Für die Entwicklung des Impressionismus war wiederum die Inspiration der japanischen Kunst entscheidend.

Maurice Réalier-Dumas (1860 — 1928)
Corinne

Farblithografie
30,7 × 40,2 cm
Sammlung Peter Pantzer

Auf einer grünen Bank im Park sitzt eine junge, hochgewachsene Frau im luftigen Sommerkleid. Sie hat ihre Arme hinter dem Kopf verschränkt und wendet sich dem Bildbetrachter zu. Betrachtet man die Farblithografie, so lässt sie uns zunächst kaum an japanische Kunst denken. Es handelt sich um ein Beispiel für den sogenannten »verinnerlichten« Japonismus. Hier wurden die ostasiatischen Bildgestaltungsmittel bereits extrahiert und in den eigenen Schaffensprozess integriert. Dazu gehören das Spiel mit den Formen und Silhouetten sowie der Verzicht auf Details und Schattenbildung zugunsten kontrastreicher Farbflächen. 

Ilona Wittrisch  (1879 — 1946)
Japanisches Paar unter Blütenzweigen

Wasserfarben auf Papier
28 × 28 cm
Sammlung Peter Pantzer

Sowohl thematisch als auch stilistisch orientiert sich die Wiener Künstlerin an den Ukiyo-e. Grafisch reduziert gibt sie das japanische Paar unter Blütenzweigen wieder. Mit wenigen Strichen umschreibt Wittrisch die Silhouette der Protagonisten. 

Im Kontrast dazu stehen die leuchtenden Farbflächen der Gewänder, die dekorativ miteinander verschmelzen — ähnlich der Kabuki-Darsteller in Utagawa Kunisadas Farbholzschnitten. 

In der rechten unteren Bildhälfte befindet sich eine Art Monogramm, das an die Verlegersiegel der Ukiyo-e-Drucke denken lässt.

Adolph Amberg (1874 — 1913)
Figur einer Laute spielenden Japanerin

Porzellan, bemalt
27 cm
Sammlung Peter Pantzer

Eine Geisha spielt auf der Laute. Dabei verrutscht wie zufällig ihr Kimono und entblößt ihre Brust. 

Die kleine Porzellanfigur offenbart sinnfällig den europäischen Japan-Diskurs. Im Zentrum stand dabei das Bild von »der Japanerin«, sie wurde gemeinhin mit der Vorstellung von »der Geisha« gleichgesetzt. Das Geisha-Bild kann wiederum als ein Produkt männlicher Wunschvorstellungen verstanden werden; so wurde sie als schön, jung, naiv, unschuldig und unterwürfig charakterisiert. Gleichzeitig strahlte sie Exotik und Erotik aus und wurde für ihr Künstlertum bewundert. Zwar war die Geisha eine Unterhalterin, sie wurde aber von Europäern häufig in einem Atemzug mit Kurtisanen und »Ehefrauen auf Zeit« genannt.

Die Laute spielende Japanerin stammt aus einem mehrfigurigen Tafelaufsatz. Anlass des Entwurfs war die Hochzeit des preußischen Thronfolgers, des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, mit Cecile von Mecklenburg-Schwerin. Da das Set keinen Gefallen fand, wurde es erst einige Jahre später in Berlin von der KPM (Königliche Porzellanmanufaktur) ausgeführt.