Genre

Fasziniert vom ungewohnten Alltagsleben in Japans Straßen, von den fremden Sitten und Gebräuchen fertigten die Reisemaler eine ganze Bandbreite von genrehaften Japanbildern an. Sie stehen in der Tradition der europäischen Genremalerei und geben das Gesehene detailfreudig aus der subjektiven Perspektive des Künstlers wieder.

Populär waren die Darstellungen von Prozessionen, Festivitäten und Theateraufführungen. Hier kamen viele interessante Menschen zusammen und die Sinne wurden auf vielerlei Weise angeregt. Aber auch spirituelle Orte, die Schrein- und Tempelanlagen, gehörten zum beliebten Themenspektrum. Dabei unterschieden die Maler in der Regel nicht, ob ein buddhistischer Tempel oder ein shintôistischer Schrein abgebildet wurde. 

Schon längst waren die dokumentarischen Beobachtungen der frühen Expeditionsmaler durch stimmungsvolle Malereien ersetzt worden. Japan war den Menschen in Europa nicht mehr unbekannt. Die Reisemalereien dienten vielmehr dazu, den Daheimgebliebenen ein stimmungsvolles Bild vom Land zu vermitteln, sie gedanklich mit auf die Reise zunehmen.

Franz Hohenberger
Tempeltor im Shibapark

Pastell
61 × 47,5 cm
Sammlung Peter Pantzer

Heiter und stimmungsvoll bildet Hohenberger die Szenerie am Tempeltor im Shibapark ab. Es ist ein warmer Frühlingstag und die Kirschbäume sind in voller Blüte. Unter dem Baum im Vordergrund steht eine junge Japanerin mit Schirm im traditionellen Gewand. Sie blickt den Bildbetrachter an, als ob sie darauf wartet, gemalt oder fotografiert zu werden. Zu ihrer Linken befinden sich zwei weitere Frauen, eine mit einem Kleinkind auf dem Arm, im Gespräch vertieft. Hinter ihnen führt ein Weg zum mächtigen Tempeltor im Shibapark, eine der ersten öffentlichen Parkanlagen in Tôkyô.

Hohenberger war, wie viele Mitreisende, fasziniert von der sakura (Kirschblüte) und stellte diese auf mehreren Gemälden dar. Begeistert berichtete er: »Kaum wird man einen schöneren Anblick finden können als jenen, den die blühenden Kirschbäume in Tokio bieten; welch’ entzückendes Bild, wenn man sie da im Uyenoparke voll der weissen Blüten sieht, die zart, kaum sichtbar, in Hellgrün, Gelb, Rosa und Lila erschimmern.«

Karl Walser
Fest auf dem Flusse an der Ponto cho machi in Kyôto

Öl auf Leinwand
49 × 64,6 cm
NMB Neues Museum Biel, Depositum Gottfried Keller-Stiftung, Bern; Bundesamt für Kultur

Karl Walser
Prozession in Kyôto

Öl auf Holz
69,2 × 92,7 cm
NMB Neues Museum Biel, Depositum Gottfried Keller-Stiftung, Bern; Bundesamt für Kultur

Die Prozession in Kyôto wird zu einem wahren Wimmelbild und lässt den Betrachter sich im Detail verlieren: der reich geschmückte Prozessionsschrein mit der Gottheit der Reisernte und zickzackartigen Bändern zur spirituellen Reinigung, Fahnen, Fächer, Strohhüte, buntbedruckte Stoffe und Laternen, umgeben von vielen Menschen in einem überfüllten Straßenzug. Sogar auf den Dächern sitzen Zuschauende, die so einen exklusiven Blick auf die Prozession erhaschen. 

Um die lebhafte und schwer zu skizzierende Szene möglichst authentisch wiederzugeben, gebrauchte Walser Fotografien als Hilfsmittel. Dies war eine übliche Praxis im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Maler erwarb auf Reisen viele Schwarz-Weiß-Fotografien, die in den Grundstock seines Arbeitsmaterials eingingen. Noch heute existieren mehr als 100 Japan-Fotografien in seinem Nachlass.

Karl Walser
Theaterszene

Öl auf Holz
69,3 × 93,5 cm
NMB Neues Museum Biel, Depositum Gottfried Keller-Stiftung, Bern; Bundesamt für Kultur

In der Theaterszene hat gerade ein Kabuki-Schauspieler in der Rolle einer Kurtisane seinen
Auftritt. Er trägt einen voluminösen, mit einem Drachenmotiv gezierten Kimono und dazu eine delikate Frisur. Im Hintergrund erscheint ein weiterer Schauspieler, der gleich in Aktion treten wird. 

Das dargestellte Kabuki-Stück konnte identifiziert werden: Es handelt sich um die dritte Szene des Schauspiels Dannora Kabuto gunki. In dieser Szene wird die Kurtisane Akoya dazu gezwungen, das Versteck ihres Geliebten, eines Heerführers des Taira-Clans, preiszugeben. Er hielt sich nach der Niederlage vor seinen Häschern verborgen. Folglich setzt der Maler keine erdachte Theaterszene aus seinen Zeichnungen zusammen, sondern bemüht sich um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe.  

Interessant ist, dass die Abbildung aus der Vogelperspektive gemalt ist, so überblickt der Betrachter sowohl das Bühnengeschehen als auch das Theaterpublikum im Vordergrund. 

Im Gegensatz zu seinen anderen Ölgemälden reagiert Karl Walser hier stärker auf die japanischen Bildgestaltungsmittel. Aufgrund der reduzierten Tiefendimension wirkt die Theaterszene flächiger und dekorativer in ihrer Gestaltung. Mit Verwendung des intensiven Kolorits sowie dem Abschneiden der Lampions und des Publikums durch den Bildrand spielt der Maler mit der japonistischen Manier.