Japan­reisen, Auf nach Japan!

»WO SOLL ICH ABER EIGENTLICH ANFANGEN!!
NATUR, VOLK UND GEBRÄUCHE ALLES SO NEU!
ALLES EINE MALERISCHE SCHATZGRUBE«

Bereits auf der Hinfahrt zeigte sich Emil Orlik in einem Brief aus Hongkong überwältigt von den Impressionen. Und so wie er verbanden alle Maler große Erwartungen und Hoffnungen mit der langen Fahrt, denn im Gepäck reiste stets das vorhandene Vorstellungs­bild mit, das beeinflusst war vom Japonismus und von der kollektiven Japan-Imagination.

Auf die erste Begeisterung folgte schnell eine Enttäuschung, präsentierte sich Japan doch von seiner modernen Seite. Karl Walser vertraute seiner Schwester in einem Brief verbittert an, dass Japan bald wie Amerika werden wird und die Kaufleute dann die neuen Herren des Landes sind.
Und Franz Hohenberger war davon überzeugt, dass die »echte japanische Eigenart« bald verschwinden wird. 

Doch es gab Hoffnung: Nach einem Monat Aufent­halt resümierte Orlik in einem Schreiben an einen Freund, man sei am Anfang zwar über viele Dinge enttäuscht, aber wenn man den scheußlich modernen Firnis abnehme, dann seien die Dinge doch noch über Erwarten schön. Welche »Realität« gaben die Maler nun wieder? Erstaunlicherweise wurden die ent­täuschten Erwartungen in den Reise­bildern nicht thematisiert, sie bilden ausschließlich das »alte, traditionelle Japan«  ab. Es waren durchweg friedvolle, idyllische Szenerien, in denen das Eigene keinen Platz fand. Pinsel und Zeichenstift wurden zu einem Filter für das Interes­sante, Unbekannte und Exotische. Auf diese Weise bestärkten die Reisekünstler das in Europa zirkulierende wirkmächtige Japan-Bild. Wenn nicht über den Bildinhalt, so hatte die Reise doch das Potenzial, eine stilistische und technische Auseinander­setzung mit der japanischen Kunst vor Ort zu erlauben: Emil Orlik und Friedrich Capelari setzten sich in Japan intensiv mit dem Farbholzschnitt auseinander. Das Gros der Maler rang jedoch eher mit der Suche nach interessanten Themen. Der kreative Austausch in den heimischen Ateliers war für die europäischen Künstler in der Regel bedeutsamer als das Erlebnis, für eine begrenzte Zeit in eine andere Kultur einzutauchen.

Emil Orlik

1900/1901 unternahm Emil Orlik (1870 — 1932) eine selbstbestimmte Japanreise. Orlik, der sich in den Kreisen der Wiener Avantgarde bewegte und als Grafiker die verschiedenen Möglichkeiten der Drucktechnik auslotete, wollte in Japan das Handwerk des Farbholzschnitts erlernen. 

Der Maler war während seines zehnmonatigen Auslandsaufenthalts überaus produktiv: Er fertigte mehrere Farbholzschnitte in der Ästhetik der japanischen Bildsprache selbst an, übte sich in Tuschmalerei und schuf überdies Lithografien, Radierungen, Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen. Einige seiner Arbeiten wurden sogar in Japan ausgestellt und inspirierten dort japanische Künstler.

Orliks Japanbilder spiegeln das Interesse an den Menschen wider. Sie zeigen junge Frauen, Mädchen und interessante »Typen« wie buddhistische Mönche, Rikschafahrer und Schauspieler. Insgesamt hatte Orlik auf seiner Reise rund 16.000 Mark ausgegeben, als »armer Reicher« kehrte er in seine Heimat zurück. Im Gepäck führte er Werkzeuge für das Schneiden von Druckplatten sowie eine exquisite Sammlung japanischer Farbholzschnitte mit.

FRANZ HOHENBERGER

1895 brach Franz Hohenberger (1867 — 1941) für ein Jahr nach Japan auf. Der Wiener Maler bereiste den Inselstaat gemeinsam mit seinem Auftraggeber Adolf Fischer (1856 — 1914). Fischer war ein wohlhabender Sammler und Kenner ostasiatischer Kunst; 1909 gründete er das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln. Für Fischer fertigte Hohenberger zahlreiche Zeichnungen und Gemälde an. Sie illustrieren dessen Publikation »Bilder aus Japan«. 

Die noch heute erhaltenen Ölgemälde wurden in der Manier des französischen Impressionismus ausgeführt. Hohenberger blieb ganz Realist und paraphrasierte die japanische Bildsprache nicht.  

1900 wurden seine Arbeiten zusammen mit Fischers Japansammlung in der VI. Ausstellung der Wiener Secession gezeigt. 

Die Schau war für die österreichische Avantgarde überaus bedeutend, suchte diese doch nach Mitteln, in der Malerei »das Wesentliche« zu erfassen, und referierte daher die japanische Kunst.

Karl Walser

1908 bereiste der junge Schweizer Maler Karl Walser (1877 — 1943) zusammen mit dem Schriftsteller Bernhard Kellermann (1879 — 1951) Japan. Initiiert und finanziert wurde die Reise von dem Verleger und Galerist Paul Cassirer (1871 — 1926). Cassirer versprach sich von der Unternehmung einen kommerziell erfolgreichen Reisebericht und wurde mit »Ein Spaziergang in Japan« und »Sassa yo Yassa. Japanische Tänze«, erschienen in mehreren Auflagen, entlohnt.

Insgesamt vier Monate dauerte die Reise. Das besondere Interesse der Reisegemeinschaft lag bei dem japanischen Tanz. Längere Zeit verbrachten sie dafür in dem kleinen Fischerdorf Miyazu, Kellermann schriftstellerisch tätig und Walser zeichnend. 

Ein weiteres Highlight des Japan-Aufenthalts bot die Besichtigung religiöser Feste in Kyôto. Bei den Prozessionen wurden prachtvolle Wagen und Schreine durch die Straßen bewegt. 

Nach Walsers Rückkehr wurden seine Ölgemälde in Cassirers Galerie ausgestellt, wo sie viel Aufmerksamkeit erhielten. Kritiker lobten die Bilder dafür, dass diese Japan »aus europäischer Perspektive« zeigen würden und nicht versuchten, die ostasiatische Kunst zu imitieren. 

Friedrich Capelari

Ermutigt durch einen japanischen Kommilitonen an der Akademie der bildenden Künste in Wien beschloss Friedrich Capelari (1884 — 1950), für einige Zeit in Japan zu leben. Um die Überfahrt zu finanzieren, heuerte er 1911 bei der Österreichischen Lloyd Schifffahrtsgesellschaft an. 

In Japan angekommen baute er sich eine Karriere als Künstler auf. 1915 sah der Verleger Watanabe Shozaburo (1885 —1962) eine Aquarellausstellung Capelaris und bot dem Maler an, mit ihm Farbholzschnitte nach einem neuen Verfahren herzustellen. Bei dem shin-hanga werden Darstellungen von zeitgenössischen Künstlern direkt in der Technik des Farbholzschnitts umgesetzt, im Gegensatz zu den Ukiyo-e der Edo-Zeit, die von separaten Handwerkern — Maler, Schneider und Drucker  — hergestellt wurden. 

Capelaris Blätter waren die ersten Grafiken überhaupt, die im shin-hanga ausgeführt wurden und trugen somit zur Erneuerung des traditionellen Ukiyo-e bei. 

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verlängerte Capelaris Auslandsaufenthalt deutlich: Japan und Österreich standen sich als Feinde gegenüber. Erst 1920 verließ der Österreicher den Inselstaat.