Typen

Die Typen-Darstellungen spiegeln das Interesse der Künstler an der japanischen Bevölkerung wider. Darüber hinaus legen sie die eurozentristische Sichtweise der Reisemaler offen. Geprägt von dem eigenen Kulturkreis sahen und bewerteten sie das Gesehene vor Ort. Angesichts der Menge an neuen Informationen und im Sinne der Orientierung wurden Personen gedanklich zu Personengruppen und Typen zusammengefasst. Bewusst oder unbewusst reagierten die Reisenden so auf den allgemeinen Diskurs. Dieser war geprägt von einer neu aufkommenden Denkweise, aus der unter anderem die Ethnografie entstand. Demnach wurden Menschen und Objekte klassifiziert und in Kategorien eingeordnet. So gliederte Felice Beato, der wohl einflussreichste Fotograf der japanischen Souvenir-Fotografie, seine Lichtbilder in die Kategorien Landschaften / Stadtansichten und Typen. 

Wie in den touristischen Fotografien, die massenhaft produziert wurden und das europäische Japan-Bild prägten, betteten die Reisemaler die dargestellten Personen in eine vermeintlich charakteristische Umgebung ein und / oder zeigten diese beim Ausüben einer Tätigkeit. So konnte der Bildbetrachter die abgebildeten Menschen leicht zuordnen. Bei diesem Prozess wurde weniger das Individuum, sondern vielmehr die Tätigkeit und Gruppenzugehörigkeit in den Vordergrund gestellt.

Emil Orlik
Maler, Holzschneider und Drucker in Japan

in: »Die Gesellschaft für vervielfältigende Kunst«, 1902
dreiteiliger, in Leporello gefalteter Farbholzschnitt
22 × 56,5 cm
Sammlung Peter Pantzer

In der dreiteiligen Serie visualisiert Emil Orlik den Anlass seiner Japanreise, das Erlernen der japanischen Farbholzschnitt-Technik, und die hieraus folgenden künstlerischen Resultate. Entscheidend für die traditionelle Ukiyo-e-Herstellung war, dass die Grafiken von drei spezialisierten Handwerkern ausgeführt wurden: dem Maler, dem Holzschneider und dem Drucker. Diese bildet Orlik beim Ausüben ihrer Tätigkeit, umgeben vom jeweiligen Handwerkszeug, ab. Der dargestellte Zeichner ist uns namentlich bekannt. Es handelt sich um einen der letzten Maler der Kanô-Schule, Kanô Tomonobu (1843 — 1912). Er führte Orlik in die Tuschmalerei ein. Nicht nur technisch, sondern auch stilistisch übt sich Orlik in der japanischen Bildsprache. So hellt er seine Farbpalette auf, malt flächiger, spielt mit der Diagonale und beschneidet Objekte am Bildrand.  Dennoch schöpft er gleichermaßen aus der europäischen Bildtradition. Er zeigt sich detailverliebt, interessiert sich für die Physiognomie der Handwerker und verwendet, wenn auch nicht konsequent, die Zentralperspektive.

Franz Hohenberger
Straßenverkäufer in Nikkô

Öl auf Leinwand
75 × 54,5 cm
Sammlung Peter Pantzer

Auf einem hölzernen, kastenförmigen Gestell präsentiert ein fahrender Süßigkeiten- und Spielzeughändler allerlei bunte Waren. Detailreich schildert Franz Hohenberger auch die Umgebung. Ein farbenfroher Hahn und mehrere Hühner suchen die Straße nach Körnern ab. Im Schatten des Warengestells steht ein Kind, das im Verhältnis dazu merkwürdig klein erscheint. Links werden vor einer offenen Ladenzeile geflochtene Körbe ausgestellt.

Aufgrund der Perspektive, der sich nach hinten verjüngenden Bilddiagonale, ist es denkbar, dass Hohenberger als Bildvorlage eine Fotografie verwendete. Derlei »kuriose« Typen gehören zu den beliebten Themen der Souvenir-Fotografie.

Friedrich Capelari
Mädchen am Heimweg im Regen

Farbholzschnitt
28,5 × 21,3 cm
Sammlung Peter Pantzer

Eng zusammenstehend, in Rückenansicht, sehen wir eine Anzahl von Mädchen. Die Oberkörper werden ganz durch ihre Schirme verdeckt, die sie vor dem starken Regen schützen. In Bindfäden prasselt er auf die kleine Gruppe herab.Friedrich Capelaris Farbholzschnitt steht ganz in der Tradition der Ukiyo-e. Räumlichkeit und Tiefe werden durch hintereinander gestaffelte Flächen sowie durch die Bilddiagonale erzeugt. Dazu korrespondieren die diagonalen Linien der Regenstruktur, wie sie in den Drucken der Farbholzschnitt-Meister zu sehen sind. Ungewöhnlich für das Genre der bijin-ga ist, dass die Gruppendarstellung, die nicht als Porträt angelegt ist, ohne Hintergrund auskommt.

Emil Orlik
Rikschamann vor dem Tsukiji

Farblithografie
31,4 × 36,5 cm
Sammlung Peter Pantzer

Ausgeführt in der europäischen Technik der Farblithografie distanziert sich Emil Orlik hier
gänzlich von der japanischen Bildästhetik. Die Arbeit zeigt einen Rikschafahrer mit Kopfbedeckung, auf seinem Transportgefährt sitzend, im Modus des genrehaften Volkstypus. Helles Sonnenlicht und die dadurch entstehende Licht-Schatten-Bildung geben dem Blatt seinen momenthaften Charakter und erinnern an die impressionistischen Arbeiten von
Franz Hohenberger, wenngleich Orlik mit gedeckten Farben arbeitet. Die Lithografie wurde in der Tôkyôter Druckerei Koshiba gedruckt, also direkt »vor Ort«.