Ukiyo-E, Bilder einer Fliessen­den Welt

Die japanischen Farbholz­schnitte Ukiyo-e der Edo-Zeit (1603 — 1868) bilden wie kein anderes Medium eindrucks­voll das alltägliche Leben mit seinen Sinnesfreuden und Vergnügungen ab. So kann der Begriff Ukiyo-e mit »Bilder einer fließenden Welt« übersetzt werden. 

Mit der Edo-Zeit setzte eine lange Zeit des Friedens ein, nach Jahr­hunderten von inner­politischen Spannungen. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich ein selbstbewusstes und wohlhabendes Bürgertum, das Anteil am Amüsement haben wollte. Hoch­geschätzt waren die Aufführungen im Kabuki-Theater und die nicht nur gastro­nomischen Angebote des Teehauses mit Musik, Tanz und schönen Frauen. Auch die Bordellviertel hatten Hoch­konjunktur. So spiegeln die Ukiyo-e das neue Lebens­gefühl in den Großstädten wider: Beliebt waren die Darstel­lungen von schönen Frauen (bijin-ga), Schauspielern und Bühnenstars (yakusha-e), aber auch berühmten Orten (meisho-e) und Landschaften (fûkei-ga), zu denen man eine Pilgerfahrt unternehmen konnte. Adressat der Grafiken war das Bürgertum: 

Die Werke waren erschwinglich und wurden wie populäre Sammelbildchen behandelt. Ein großer künstlerischer Wert wurde ihnen derzeit jedoch nicht zugeschrieben. Ganz anders in Europa: Hier dachte man lange Zeit, dass die Ukiyo-e eine Art »Extrakt« japanischer Kunst sein. Dies war nicht verwunderlich, denn die Farbholzschnitte waren für die europäische Avantgarde hinsichtlich ihrer Stilistik überaus bedeutend. Zudem wurden die Grafiken als inhaltliche Quelle über Japan gesehen. Denn was man über Japan wusste, wurde oftmals Bildern entnommen. Folglich waren die Ukiyo-e fester Bestandteil der europäischen Japan-Vorstellung.

Utagawa Toyokuni (1769 — 1825)
Porträt des Schauspielers Ichikawa Omezo

Farbholzschnitt
39,2 × 25,7 cm
Linden-Museum Stuttgart

Der Druck zeigt das Ganzkörperporträt des Kabuki-Schauspielers Ichikawa Omezo. Der Mime trägt in der Rolle eines Samurai einen langen schwarzen Mantel, unter dem zwei Schwerter herausragen. 

Farbholzschnitt-Maler wie Utagawa Toyokuni fertigten zahlreiche Entwürfe von bekannten Bühnendarstellern an: Kabuki-Schauspieler wurden wie Stars verehrt, ihre Porträts vom Publikum gesammelt.

Utagawa Hiroshige (1797 — 1858)
Yabu-koji in Atago-shita

Später Nachdruck, Farbholzschnitt
35,9 × 24,1 cm
Linden-Museum Stuttgart

Mehrere Reisende folgen dem Wegverlauf einer verschneiten Straße. Es schneit unaufhörlich, ihre Strohhüte sind bereits schneebedeckt. Entlang des Weges funkelt ein Fluss dunkel und kalt.

Der Druck stammt aus der Serie 100 berühmte Ansichten von Edo. Er gilt als das Hauptwerk des Farbholzschnitt-Malers. Hiroshiges Grafiken zeigen idealisierte Ansichten von Orten in Edo (dem heutigen Tôkyô) und seiner Umgebung zu verschiedenen Jahreszeiten. Hiroshige war Meister darin, Wetter, Atmosphäre und die Beziehung zwischen Mensch und der Natur wiederzugeben.

Utagawa Hiroshige II. (Suzuki Chimpei), (1826 — 1869)
Reisende zwischen den Feldern vor dem Fuji

Farbholzschnitt
24,8 × 18,7 cm
Linden-Museum Stuttgart

Zu Pferd reist eine kleine Gruppe die Tôkaidô-Straße entlang. Interessiert beäugen die Männer eine Pfeife rauchende Prostituierte, die Kontakt zu den Reisenden aufgenommen hat. Im Hintergrund,
zwischen den Bäumen, erscheint gut sichtbar der kegelförmige Fuji. 

Der Tôkaidô war die bedeutendste Handelsstraße der Edo-Zeit (1603–1867), da sie von der Kaiserstadt Kyôto zu dem Regierungssitz des Shôgunats in Edo führte. Auf ihr reisten Pilger, Kaufleute und Regierungsangehörige. Um den Bedürfnissen der Reisenden gerecht zu werden, entstanden entlang des Tôkaidôs Poststationen, Restaurants und Bordelle.

Der Farbholzschnitt wurde von Suzuki Chimpei angefertigt, dem Schüler und Adoptivsohn Hiroshiges. Unverkennbar ist die Handschrift des Lehrers. Sein Farbholzschnitt weißt thematisch und stilistisch große Ähnlichkeiten zu Hiroshiges 100 berühmte Ansichten von Edo auf.

Katsushika Hokusai (1760 — 1849)
Ansicht des Fuji von Hodogaya

Farbholzschnitt
25 × 36 cm
Linden-Museum Stuttgart

Reisende zu Fuß, mit dem Pferd und der Sänfte sind auf der Tôkaidô-Straße in der Nähe der Poststation Hodogaya unterwegs. Einer der Sänftenträger schnürt gerade seine Strohsandale, während der andere sich den Schweiß von der Stirn wischt. Hinterfangen wird die Szenerie von dem heiligen Berg Fuji. Der Farbholzschnitt gehört zu der Serie 36 Ansichten vom Berg Fuji. Hier führte Hokusai die Landschaftsmalerei, die bislang eine eher untergeordnete Bedeutung in dem Genre gespielt hatte, zu großem Ruhm. An diesen Erfolg der Landschafts-Drucke knüpften weitere Serien von Hokusai, aber auch von anderen Holzschnitt-Malern wie Utagawa Hiroshige an. In Europa waren es vor allem diese Grafiken, die begeistert rezipiert wurden. 

Angeregt von Hokusais Bildserie der 36 Ansichten malte beispielsweise Claude Monet (1840 — 1926) eine ganze Reihe von Heuschobern und ergründete dabei das momenthafte Spiel von Licht und Farben.

Kopie nach Kitagawa Utamaro (1753 — 1806) Brustbild einer Oiran,
Brustbild einer Oiran

Farbholzschnitt
37,5 × 25,7 cm
Linden-Museum Stuttgart

Das Halbfigur-Porträt gibt eine attraktive junge Frau im Profil wieder. Sie trägt einen kostbaren Kimono mit nach vorne gebundenem obi (Gürtel) und eine aufwendige Frisur, die mit langen Haarnadeln zusammengehalten wird. Die Porträtierte ist eine sogenannte oiran, was sinngemäß bedeutet »die schönste aller Blumen«. Damit bezeichnete man eine hochrangige Prostituierte, die den meisten Profit für ihr Bordell erwirtschaftete. Damit verbunden waren gewisse Privilegien gegenüber den »gewöhnlichen« Prostituierten.

Die »schönen Frauen« von Kitagawa Utamaro waren bei der Kundschaft derart beliebt, dass seine Grafiken häufig kopiert wurden.

Utagawa Kunisada (1786 — 1864)
Frau mit Kind auf dem Arm

Farbholzschnitt
37,7 × 26 cm
Linden-Museum Stuttgart

Die Szene spielt auf einer Veranda. Asagiri hält ihre Tochter, Prinzessin Akashi, auf ihrem Arm. Kanne und Wassergefäß stehen auf dem Boden. Die dazugehörige linke Seite des Diptychons zeigt den Vater des Kindes, Mitsuuji, sitzend neben einem Brunnen. Utagawa Kunisada stellt hier eine Begebenheit aus dem Stück Nise Murasaki inaka Genji dar, eine Parodie des Genji monogatari (Erzählungen vom Prinzen Genji). 

Das Genji monogatari gilt als einer der ersten Romane überhaupt und handelt von dem turbulenten Leben und den Liebesabenteuern des Prinzen Genji. Das Werk stammt aus dem 11. Jahrhundert, geschrieben von der Hofdame Murasaki Shikibu, und war durch Abbildungen allseits bekannt.

Utagawa Kunisada (1786 — 1864)
Frau hinter einer Stellwand stehend

Farbholzschnitt
37 × 25,5 cm
Linden-Museum Stuttgart

Eine Dame, gekleidet in einem delikat ornamentierten Kimono, steht auf einem Sitzkissen hinter einer Stellwand. Auf dem Boden zur Rechten befindet sich ein Tablett mit Räuchergefäß. Die Darstellung ist der rechte Teil eines Diptychons, im linken Teil ist ein Flöte spielender Mann abgebildet. 

Es ist Mitsuuji, dessen Spiel die Dame Fujinokata hinter der Stellwand lauscht. Wie die zuvor besprochene Grafik aus der Erzählung Nise Murasaki inaka Genji wurde der Hintergrund aufwendig gedruckt, wodurch ein Glimmereffekt entsteht.

Utagawa Kunisada (1786 — 1864)
Frau mit Schirm

Farbholzschnitt
35,7 × 22,9 cm
Linden-Museum Stuttgart

Im Fokus der Darstellung steht eine schlanke, hochgewachsene Dame, dicht eingehüllt in ein dunkelblaues Winterkostüm. Es ist kalt, Schnee türmt sich auf und bedeckt den schwarzen Schirm in ihrer Linken. Im Hintergrund sieht der Betrachter blühende Bäume, die in einem aufwendig gestalteten Rahmen eingefasst sind. 

Das Bild zeigt Yoshino in der Provinz Yamato  — eine Gegend, die für ihre Kirschblüte bekannt war. Der Druck stammt aus einer Farbholzschnitt-Serie (Honchô fûkei bijin kurabe), die bekannte Schönheiten mit malerischen Orten in den Vergleich setzt.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Frau im Kimono vor einem buddhistischen Rollbild

Albuminabzug, handkoloriert
25,3 × 20 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Die dargestellte junge Frau hat sich vom Betrachter abgewendet und hält einen Fächer empor. Ihr kunstvoller Kimono ist mit Kirschblüten ornamentiert. Farblich abgestimmt dazu ist die Haarnadel der Schönen. Von Rathenitz inszeniert die Frau als ein kunstvolles, lieblich anzusehendes Objekt. Durch die Rückenansicht ist sie dem voyeuristischen Blick der Bildbetrachtenden schutzlos ausgeliefert. 

Utagawa Kunisada (1786 — 1864)
Szene aus dem Kabuki-Theater

Farbholzschnitt
35,5 × 22,8 cm
Linden-Museum Stuttgart

Der Bildbetrachter sieht eine dramatische Szene aus dem Kabuki-Stück Hiragana Seisuiki: Higuchi Jirô greift mit einem Stock in der Hand seines weit ausladenden Armes einen in Panik geratenen Bootsmann an. Dieser versucht, den drohenden Angriff mit erhobenen Armen abzuwehren.

Die leuchtend bunten Drucke des bürgerlichen Kabuki-Theaters erfreuten sich großer Beliebtheit. Sie zeigen zumeist Szenen aus den Theaterstücken oder geben Schauspielerporträts wieder. Zwar waren die Gesichter der Schauspieler stilisiert, doch konnten sie vom Bildbetrachter anhand ihrer Familienwappen (mon) identifiziert werden.

Utagawa Kunisada war wohl der produktivste und erfolgreichste Holzschnitt-Maler für Kabuki-Illustrationen, da er mit seinen Arbeiten dem sich wandelnden Geschmack des Publikums folgte.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Samurai

Albuminabzug, handkoloriert
24,5 × 19,8 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Die abgebildeten Samurai gehören ebenso wie die Feuerwehrleute zu der in Europa konstruierten
ethnografischen Kategorie »Typen-Darstellungen«. Die kostbaren Rüstungen der Krieger sind sorgfältig koloriert, sodass der Betrachter sie eingehend studieren kann.

Samurai waren hoch angesehen und gehörten zum Kriegeradel. Sie dienten zumeist einem Daimyô (Lehnsherren). 1868 wurde das alte feudalistische Herrschaftssystem der Shôgune endgültig abgeschafft, sodass auch die Samurai an Bedeutung verloren und oftmals verarmten. 1876 wurde ihnen das Tragen der Schwerter im öffentlichen Raum untersagt. Die Fotografie inszeniert eine Welt, die schon lange nicht mehr existierte.