Tourismus

Kamen die frühen Japanreisen noch einem Abenteuer gleich, so wandelte sich die touristische Infrastruktur, parallel zu der Moder­nisierung Japans, rasant. Schon bald war es ausländischen Reisenden erlaubt, sich frei im Land zu bewegen.Ab 1899 mussten Ausländer nicht einmal mehr einen Reisepass mitführen.

Japan wurde konsumier­bar gemacht. Reiseführer informierten, welche Ausflugsziele besucht werden sollten, listeten Hotels auf und druckten Fahrpläne. Touristen erwarben bereits vor ihrer Rundreise Fotografien, um sich einen Überblick über die Sehens­würdigkeiten zu verschaffen.

Die Reise durch das modernisierte Land führte unweigerlich zu Ent­täuschungen, war man doch mit der Imagination aufgebrochen, nach »Alt-Japan« zu reisen. So resümierte der Maler Emil Orlik (1870 — 1932) einige Wochen nach seiner Ankunft in Japan, dass er anfangs enttäuscht gewesen sei, da er sich vieles anders vorgestellt habe.

Ein Ausweg bestand darin, die ländlichen Gebiete zu besichtigen. Hier traten viele der Neuerungen und die Industriali­sierung meist später und in abgeschwächter Form auf. Diese Landstriche wurden für einige Touristen zu einem Fluchtort.

Schematische Darstellung der Reiseroute nach Japan, frei nach Reiseroute nach John Murrays »HANDBOOK FOR TRAVELLERS IN JAPAN«, (1889)

Reiseroute nach John Murrays
»Handbook for Travellers in Japan«

Wichtigster Gegenstand jedes europäischen Japantouristen war wohl der Reiseführer. Bereits in den 1880er-Jahren vertrauten Reisende den Ratschlägen dieser populären Hilfen. Die Bücher boten ihrer Leserschaft einerseits Orientierung, andererseits führte die Auswahl der Sehenswürdigkeiten zu einem Besichtigungszwang und zu einer Entindividualisierung der Reise. Im überaus erfolgreichen »Handbook for Travellers in Japan« stellten die Autoren eine idealtypische Route zusammen, die in einem Monat absolviert werden konnte und in ähnlicher Form von vielen Reisenden unternommen wurde: Der gewöhnliche touristische Japanaufenthalt dauerte drei bis vier Wochen und fand vorzugsweise während der Kirschblüte statt.

Murrays Reiseweg startete in Yokohama und Tôkyô und führte die Reisenden von der Tempelstadt Kamakura zu der Halbinsel Enoshima. Von hier aus wurde ein Abstecher nach Hakone und zum Berg Fuji unternommen. Mit der Tôkaidô-Eisenbahnlinie fuhren die ausländischen Gäste weiter nach Nagoya und zu der alten Kaiserstadt Kyôto, samt Besuch des Biwa-Sees. Anschließend folgten Nara und Kôbe. Von Kôbe aus reiste man per Dampfschiff wieder zurück nach Yokohama, um von dort aus Nikkô mit seinen Tempeln und Schreinen zu erkunden. Auf dem Rückweg nach Tôkyô folgten weitere Zwischenstationen in den malerischen Orten Ikao, Kusatsu und Karuizawa. 

Viele der beschriebenen Ausflugsziele waren bereits vor der Landesöffnung berühmte und von japanischen Pilgern viel besuchte Orte (meisho).

Wilhelm Heine
Eine Weltreise um die nördliche Hemisphäre in Verbindung mit der Ostasiatischen Expedition

Württembergische Landesbibliothek Stuttgart

Diese Publikation thematisiert die zweite Unternehmung des deutschen Reiseschriftstellers und gelernten Malers Wilhelm Heine nach Japan. Beim ersten Mal hatte er 1853 die amerikanische Expedition Matthew Perrys begleitet. Sie war dazu bestimmt, Japans Häfen für den Handel mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu öffnen. Einige Jahre später sendete auch Preußen Schiffe, um »Freundschaftsverträge« mit Japan zu schließen  —  mit ihnen reiste Heine in der offiziellen Mission des Expeditionsmalers. 

Die frühen Ostasienreisen von euroamerikanischen Besuchern waren durchaus abenteuerlich. Neben der langen Schiffsreise durch Taifungebiete und auch fehlendem Wissen über Japan kam es zu Überfällen auf westliche Ausländer. So schilderte Wilhelm Heine ausführlich die Ermordung des jungen Dolmetschers Hendrick Heusken (1832 — 1861), durchgeführt von antiwestlichen, herrenlosen
Samurai (rônin).

Isabella Bird
Unbetretene Reisepfade in Japan

2. Auflage, Jena; Übersetzung aus dem Englischen (Unbeaten Tracks in Japan, 1880) Württembergische Landesbibliothek Stuttgart

Isabella Lucy Bishop (1831 — 1904), besser bekannt als Isabella Bird, war eine weit gereiste, überaus erfolgreiche britische Reiseschriftstellerin, die ihre Leserschaft mit abenteuerlichen Berichten in ihren Bann zog. Angesichts der Fülle von Reise-literatur, die im 19. Jahrhundert auf dem Markt war, fiel sie mit ihrer weiblichen Perspektive beim Thema auf.

1878 brach Bird zu ihrer langen Reise nach Japan auf. Hier interessierte sie sich vor allem für das »andere«, das exotische Inland, das noch nicht für den westlichen Tourismus erschlossen war. 

So reiste die Schriftstellerin etwa zu den abgelegenen Siedlungsgebieten der Ainos (Ureinwohner Japans) nach Nordjapan, wobei ihr nur wenig Kartenmaterial zur Verfügung stand. Bird beschreibt in ihrer Publikation die Schönheit des Inselstaats, aber äußert sich ebenso mitunter abwertend über die japanische Bevölkerung.

Bernhard Kellermann
Ein Spaziergang in Japan

3. Auflage, 1. Aufl. von 1910, Privatbesitz

1908 bereiste der junge deutsche Schriftsteller Bernhard Kellermann (1879 — 1951) gemeinsam mit dem Schweizer Maler Karl Walser (1877 — 1943) den Inselstaat. Japanreiseberichte waren im frühen 20. Jahrhundert überaus beliebt, daher finanzierte der bekannte Verleger und Galerist Paul Cassirer (1871 — 1926) die kostspielige Ostasienreise. 

Daraus entstand Ein Spaziergang in Japan, eine leichte und impressionistische Reisebeschreibung. Kritische, politische und soziale Themen wurden gänzlich ausgespart, stattdessen standen der Augenblick und das erlebte Gefühl im Vordergrund. Wie viele seiner Reisegenossen thematisierte auch Kellermann euphemistisch das Yoshiwara — ein bekanntes Tôkyôter Rotlichtmilieu, in dem Prostituierte hinter Gitterstäben begutachtet werden konnten.

Postkarte
Tokaido Main Line

Sammlung Steve Sundberg

Postkarte
Beppu hot springs spa

Sammlung Steve Sundberg

Postkarte
The »new« Nihonbashi Bridge

Sammlung Steve Sundberg

Postkarte
Panoramic view of Asakusa,

Sammlung Steve Sundberg

Postkarte
Isuzu (Wolseley A6) automobile debut

Postkarte Isuzu (Wolseley A6) automobile debut, Sammlung Steve Sundberg


Zwar wollten Privatleute aus Europa und den USA auf ihrer Reise das traditionelle Japan sehen, dennoch nutzten sie wie selbstverständlich die moderne Infrastruktur des Landes. Das Reisen mit der Eisenbahn und später mit dem Automobil ermöglichte maximalen Komfort. Und am Abend erholte man sich von der anstrengenden Sightseeing-Tour durch das »alte« Japan in Hotels, die nach europäischem Vorbild erbaut wurden. 

Die ausgestellten Postkarten wendeten sich wohl an eine japanische Käuferschicht. Sie geben einen Einblick in den Reisealltag vieler Touristen — eine Wirklichkeit, die in den Souvenir-Sammlungen westlicher Reisender kaum wiederzufinden ist, wollte man doch vor allem das andere, exotische Japan in Erinnerung behalten.