Japan, Ein Land Im Wandel

Schon bald nach Unterzeichnung der ersten Handels­verträge war den japanischen Macht­habern bewusst, dass sie ihre Souveränität nur behalten können, wenn im Land tiefgreifende Reformen umgesetzt werden. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich Japan von einem technisch rück­ständigen Land mit feudalen Herrschafts­strukturen zu einer Weltmacht, die in Konkurrenz zu den euro­amerikanischen Industrie­staaten stand. Forciert wurden die Veränderungen unter der Meiji-Regierung (1868 — 1912) des Kaisers Mutsuhito (1852  — 1912). Dabei wurde das Land selektiv mit »westlichem Know-how« wirtschaft­lich und militärisch gestärkt. Dampfschiffe, die Eisenbahn, modernisierte Straßenzüge mit Gas­beleuchtung und Telegrafenmasten hielten Einzug ins Land. 1872 wurde die erste Eisenbahn­strecke eingeweiht: Sie verband Yokohama mit der neuen Kaiserstadt Tôkyô und verkürzte die Reisezeit enorm. 

1872 wurde die Schulpflicht eingeführt und 1873 ersetzte der gregorianische Kalender den chinesischen. Verheiratete Frauen verzichteten immer häufiger auf das Schwärzen ihrer Zähne und die Rasur der Augenbrauen. Seit 1872 war das un- oder nur leicht bekleidete Auftreten in der Öffentlichkeit untersagt, was vor allem die nur mit einem Lendenschurz bekleideten Rikschafahrer und Tagelöhner traf. 

Ferner wurden nach Geschlechtern getrennte Badehäuser eingeführt. Eindrucksvoll schildern noch heute zahlreiche Grafiken die Veränderungen, Verordnungen und Empfehlungen, die tief in das Leben der japanischen Gesellschaft eingriffen und das bürgerliche Leben sowie das Bild der Städte veränderten.

Uchida Kuichi (1844 — 1875)
Kaiserin Haruko

Albuminabzug, handkoloriert
23 × 19 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Kaiserin Haruko (1849 — 1914) wurde zeitgleich mit ihrem Gemahl, aber im Gegensatz zu ihm in traditioneller Kleidung abgelichtet. Erst einige Zeit später war es ihr gestattet, sich in westlicher Garderobe einzukleiden. Seit 1886 traten die Kaiserin und ihr Hofstaat in der Öffentlichkeit nur noch in Bekleidung nach westlichem Vorbild auf.

Uchida Kuichi (1844 — 1875)
Kaiser Mutsuhito

Albuminabzug, handkoloriert
Uchida Kuichi (1844 — 1875) Kaiser Mutsuhito, 1873 22,8 × 19 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Die Fotografie Uchida Kuichis ist die erste Abbildung, die den Kaiser (tennô) mit Kurzhaarschnitt und in einer westlichen Gardeuniform zeigt. Durch das Tragen der Uniform sollte verdeutlicht werden, dass der japanische Machthaber als gleichberechtigt mit den imperialen Mächten wahrgenommen werden wollte. Die Darstellung wurde zum offiziellen Kaiserporträt deklariert und bei diplomatischen Zusammenkünften ausgehändigt. Der offizielle Verkauf des kaiserlichen Porträts war untersagt. Das Verbot wurde jedoch umgangen, wodurch das Bild in Abzügen und übertragen auf andere druckgrafische Medien verbreitet wurde.

Toyohara Chikanobu (1838 — 1912) 
Ausfahrt vom Neuen Kaiserpalast zur Parlamentseröffnung

Triptychon, Farbholzschnitt
37,4 × 71 cm
Sammlung Peter Pantzer

Toyohara war ein überaus produktiver Holzschnittkünstler im Japan der Meiji-Zeit. In seinen Arbeiten werden häufig aktuelle Ereignisse und das moderne Japan seiner Zeit thematisiert. 

In dem detailliert ausgeführten Triptychon fährt das Kaiserpaar in einer Paradekutsche zur Eröffnung des japanischen Parlaments, das nach dem Vorbild des preußischen Landtags und des britischen Unterhauses eingerichtet wurde. Begleitet wird das Paar von hohen Regierungsbeamten und Adligen. Im Hintergrund erkennt man den Kaiserpalast und die Nijubashi Brücke, die als Eisenkonstruktion vom deutschen Ingenieur Wilhelm Heise (1846 — 1895) entworfen wurde. Auch stilistisch wirken die Grafiken überaus »modern«. So arbeitet Toyohara etwa mit der europäischen Zentralperspektive.

George Bigot (1860 — 1927)
Drei Blätter aus dem Album Croquis Japonais

Radierung
Blatt 12: Facteur (Postbote), 46,3 × 29,6 cm Blatt 5: Matelot (Matrose), 46,3 × 29,6 cm Blatt 6: Fonctionnaire (Beamter), 46,2 × 31,4 cm
Sammlung Peter Pantzer

Der französische Illustrator lebte viele Jahre in Japan, von 1882 bis 1899. Mit teils bissigen Karikaturen setzte sich Bigot mit der Modernisierung seiner neuen Wahlheimat auseinander. Die Grafiken erschienen sowohl in japanischen als auch in europäischen Magazinen. Im Gegensatz zur Malerei verstand sich das Medium der satirischen Darstellung wie kein anderes darauf, Mobilität, Zeit, politisch-gesellschaftliche Problematiken und zwischenmenschliche Defizite zu visualisieren. 

So stellen die drei Radierungen einen Postboten, einen Matrosen und einen Beamten dar, gekleidet in einer teils skurril anmutenden Mischform aus traditioneller und europäischer Mode. Die »Verkleidung« wurde wiederholt von europäischen Reisenden belächelnd beschrieben, worin ein Gefühl der eigenen Überlegenheit mitschwang. 

Mizuno Toshikata (1866 — 1908)
Männer von Stand in moderner Kleidung

Diptychon, Farbholzschnitt
34,6 × 46,4 cm
Sammlung Peter Pantzer

Nach Vorbild des Tennôs wurde die Mode der europäischen Gesellschaft bald von forschrittsoptimistischen Japanern übernommen und bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt. Im öffentlichen Bereich dominierte die neuartige Bekleidung schnell das Stadtbild. So mussten Beamte, Ordnungshüter und Bahnangestellte in westlicher Kleidung auftreten. Das Diptychon zeigt, dass es dennoch viele Spielarten in der Wahl der Kleidung gab und die traditionelle Mode nicht negiert wurde.