Souvenir-Fotografien

Im 19. Jahrhundert wurde die Foto­grafie als ein Medium verstanden, das die Dinge objektiv wiedergibt. Folglich meinte man in den Souvenir-Fotografien aus Japan ein authentisches ethno­grafisches Abbild des Landes zu sehen. Doch handelte es sich um künstlich inszenierte Studio­aufnahmen: Modelle wurden engagiert, die mit Requisiten ausgestattet in fremde Rollen schlüpften und eine festgelegte Drama­turgie umsetzten. 

Geschickt griffen die Fotografen die Bedürfnisse ihrer westlichen Kundschaft auf. Sie kreierten ein »Japan-Wunschbild« aus eurozentristischer Perspektive. Beliebte Motive waren die Darstellungen von schönen Frauen, Rikschafahrern, Priestern, Samurai und Handwerkern aus »Alt-Japan«. Auf diese Weise unterstützten und festigten die Licht­bilder die subjektive europäische Japan-Vorstellung.

Interessant ist, dass die Fotografen dabei Themen und Bildkomposition aus den japanischen Farbholz­schnitten übernahmen. Die euro­amerikanischen Kauf­interessierten kannten die Drucke; so war es ein Leichtes, an die vertrauten Motive anzuknüpfen. Zudem machten die Studios vom hand­werklichen Geschick der Ukiyo-e-Hersteller Gebrauch. Durch die Einführung günstiger Druck­methoden aus dem Ausland wurde die Produktion der Farb­holzschnitte unrentabel, sodass ehemalige Maler stattdessen Foto­grafien per Hand kolorierten. Dadurch wurden die Schwarz-Weiß-Abbildungen künstlerisch aufgewertet und zu Unikaten.

Die hier präsentierten Licht­bilder stammen aus der privaten Sammlung des Kaufmanns und Weltreisenden Carlos Götting (1828 — 1899), der Japan 1876 bereiste. Licht­bilder waren ein beliebtes Souvenir und nicht aus dem Gepäck der Reise­rückkehrer wegzudenken. Sie konnten einzeln, aber auch in Sets und fertigen Fotoalben erworben werden.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Feuerwehrleute

Albuminabzug, handkoloriert
25,2 × 20,2 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Die Männer tragen dicke, beim Einsatz durch Wasser genässte Mäntel und stützen sich auf Reißhaken. Diese dienten dazu, Nachbargebäude einzureißen, um den Brandherd zu stoppen. Der rechte Feuerwehrmann hat sich vom Betrachter abgewendet, sodass sein Monogramm auf dem Rücken sichtbar wird. Es gibt Auskunft darüber, zu welcher Brigade er gehört. 

Da Japans Bauten aus Holz errichtet waren, auf offenem Feuer gekocht wurde und Naturkatastrophen wie Erdbeben das Land heimsuchten, war die Feuerwehr eine überaus wichtige Institution in den Großstädten.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Obst- und Gemüsehandlung

Albuminabzug, handkoloriert
20 × 26,2 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Die genrehafte Szene zeigt einen Kaufmann, sitzend vor seinem Laden. Sein Blick ist in die Kamera gerichtet. Im Hintergrund erkennen wir seine Ware.Obst und Gemüse, aufbewahrt in großen Körben. Auf den ersten Blick wirkt das Bild wie eine Momentaufnahme, doch hatten der Mann im Vordergrund, der sich an eine Karre mit Reisbündeln anlehnt sowie die sorgfältig aufgereihten Männer, Kinder und Frauen zur rechten Seite höchstwahrscheinlich direkte Anweisungen vom Fotografen erhalten.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Werkstatt eines Tischlers

Albuminabzug, handkoloriert
20 × 26 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Ein junger Tischler bearbeitet ein vor ihm liegendes Brett mit Hammer und Stemmeisen. Die Holzspäne zu seinen Füßen zeigen seine rege Tätigkeit. Weitere Werkzeuge und Bretter lehnen vor einem Bambusgestell im Hintergrund. 

Eben jene Bambuswand findet sich auch in anderen Lichtbildern von Raimund Stillfried von Rathenitz wieder. Die Tischlerszene wurde wohl in von Rathenitz’ Fotostudio nachgestellt.

vermutlich Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Shintô-Priester mit einem Tragaltar bei einer Prozession

Albuminabzug, handkoloriert
20,4 × 26,3 cm
Städtisches Museum Braunschweig

In einer religiösen Zeremonie tragen vier Shintô-Priester einen reich verzierten Schrein durch die Straßen. Durch ihre weißen Gewänder, die schwarzen, hoch aufgetürmten Kopfbedeckungen (eboshi) sowie ihre »geheimnisvolle« Zeremonie erweckten sie das Interesse westlicher Touristen.

1868 hatte die neue Meiji-Regierung den Shintôismus zur Staatsreligion ausgerufen. Als Konsequenz wurde der Buddhismus kaum noch finanziell unterstützt, viele Klöster mussten ihre Kultbilder unter Wert verkaufen. Auf diese Weise gelangten viele sakrale Objekte auf den europäischen Markt und erzeugten das Bild, die japanische Bevölkerung sei »besonders« religiös.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Mädchen mit Teeservice

Albuminabzug, handkoloriert
24 × 19,2 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Zu sehen ist ein junges Mädchen. Sie hält eine Kanne und ein Tablett mit zwei zierlichen Tassen in ihren Händen.

Der Besuch von Teehäusern war ein beliebter touristischer Zeitvertreib. Hier konnte man sich einerseits stärken und andererseits ins »Alt-Japan« eintauchen.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Drei Frauen mit überkreuzten Händen

Albuminabzug, handkoloriert
24 × 19,1 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Drei junge, aufwendig frisierte Frauen in farbenfrohen Kimonos stehen dicht beieinander und halten sich an ihren Händen. Von Rathenitz’ Fotografie lehnt sich an den Darstellungstypus der »3 Grazien« an — ein beliebter Bildgegenstand in der europä-
ischen Maltradition. Gleichzeitig greift das Bild die bijinga-Tradition (schöne Frauen) der japanischen Farbholzschnitte auf. Bei den abgebildeten Damen handelt es sich wohl um Prostituierte, da diese ihren obi (den breiten Kimonogürtel) nach vorne gebunden tragen. 

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Schlafende Frauen

Albuminabzug, handkoloriert
19 × 24 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Auf ähnliche Weise wie die Fotografie  Frau im Kimono vor einem buddhistischen Rollbild funktioniert die Abbildung der Schlafenden Frauen. Das Lichtbild suggeriert einen voyeuristischen Blick in private Räumlichkeiten. Auf diese Weise konnte der (männliche) Betrachter die schlafenden und damit wehrlosen Frauen in aller Ruhe studieren, wodurch ein verzerrtes Machtverhältnis entsteht.

Aus »ethnografischer« Perspektive interessierten sich die Personen, die das Bild erwerben wollten, sicherlich dafür, wie die japanische Bevölkerung schlief. Statt eines Bettes nutzte man eine weiche Unterlage, die auf den Boden gelegt wurde.

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Mädchen beim Spielen der koto

Albuminabzug, handkoloriert
19,1 × 24 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Eine junge Frau stimmt das koto an, ein seit Jahrhunderten gebräuchliches Saiteninstrument, das insbesondere in der höfischen japanischen Musik gespielt wird. 

Auch ein Fächer, eine zierliche Pfeife, zwei dekorative Schatullen sowie ein weiteres Musikinstrument befinden sich im Arrangement und bereichern die Szene mit »interessanten« Bildmotiven.

unbekannter Fotograf
Drei musizierende Frauen,

Albuminabzug
19,2 × 26,5 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Drei Geishas geben eine musikalische Darbietung. Gespielt werden eine Trommel (taiko), eine Handtrommel (tsuzumi) sowie eine Langhalslaute (shamisen). Wurde die japanische Musik von europäischen Reisenden oft als unerträglich beschrieben, so erfreute man sich doch umso mehr an dem Anblick der musizierenden jungen Frauen.

unbekannter Fotograf
Gruppe von musizierenden Frauen

Albuminabzug
14,1 × 19,6 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Eine Gruppe von zwölf musizierenden Frauen stimmen verschiedene, in Europa fremdartige Musikinstrumente an, darunter die taiko (Trommel), die tsuzumi (Handtrommel), das shamisen (eine Langhalslaute), das koto (ein Saiteninstrument) und die shakuhachi (eine Bambuslängsflöte).

Raimund Stillfried von Rathenitz (1839 — 1911)
Freudenhaus in Takashima

Albuminabzug
19 × 24 cm
Städtisches Museum Braunschweig

Darstellungen von Bordellen erfreuten sich großer Beliebtheit. Im Gegensatz zu Europa war die Prostitution in Japan legal und fand in prachtvollen Bauten statt. Basil Hall Chamberlains Japan-Lexikon »Things Japanese«, eine einschlägige Publikationen für den europäischen Touristen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, widmete dem bekanntesten Tôkyôter Rotlichtviertel mehrere
Seiten. Er bezeichnet den Besuch eines solchen Viertels als »besondere Sparte der Soziologie«.