Landschaften

Weit entfernt von der eigenen Heimat und umgeben von Wasser: das waren wichtige Zutaten dafür, Japan zu einem locus amoenus (lat. lieblicher ort) zu stilisieren. Dieser Idee folgend waren die reisenden Künstler nicht an der wilden und menschenfeindlichen Natur interessiert. Stattdessen  malten sie liebliche, pittoreske und kultivierte Land­schaften. 

Angereichert wurden die Szenerien mit stereotyp japani­schen Elementen wie Kiefern, Buddha-Statuen, Dschunken, Tempelansichten und dem Berg Fuji, wodurch der europäische Betrachter die Darstellungen nach Japan verorten konnte. 

Es entstanden idyllische, heitere und atmo­sphärische, manchmal auch mythisch aufgeladene Landschafts­bilder. Japans Bevöl­kerung war im europäischen Japan-Diskurs ein Teil der Idyllen-Vorstellung. Sie wurde als ein Natur­volk bezeichnet, das im Einklang mit seiner Umwelt, im Wechsel mit den Jahreszeiten und in tiefer Verehrung der Natur lebe. Unterstützt wurde die Sichtweise dadurch, dass Japans Staatsreligion, der Shintôismus, in Naturerscheinungen wie Bergen, Bäumen und Flüssen etwas Göttliches sah. Zudem war die Natur ein zentrales Motiv der japanischen Poesie und Malerei. Viel wichtiger war jedoch, dass Japan auf diese Weise in Oppo­sition zu der eigenen Wirklich­keit stand und einen gedanklichen Fluchtweg angesichts der industriellen Revolu­tion, der Mechanisierung und Verstädterung europäischer Land­schaften bot. 

Friedrich Capelari
Kiefern am Palastgarten

Farbholzschnitt
23,5 × 33,8 cm
Sammlung Peter Pantzer

Capelaris Farbholzschnitt zeigt die mächtigen Kiefern und die steinerne Mauer des Kaiserpalasts in Tôkyô. Der Palast ist von einem tiefen Wassergraben umgeben. Die Kiefern werfen lange Schatten auf die Mauer und das Wasser. Da der Innenbezirk des Palastes für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, bildet Capelari die Außenmauer des Palastgartens ab, also den für die Mehrheit der Bevölkerung sichtbaren Teil. Obwohl nur eine Mauer mit Kiefern und Wasser abgebil- det wird, kann die Darstellung von japanischen Betrachtenden daher leicht als Kaiserpalast er- kannt werden. Die bildnerische Darstellung von Schatten ist kein Teil der traditionellen japanischen Malerei. Sie wurde erst später von der an westlichen Malerei interessierten Farbholzschnitt-Meistern angewendet.

Friedrich Capelari
Segelboote (Matsushima)

Farbholzschnitt
25,5 × 38,5 cm
Sammlung Peter Pantzer

Ausgehend von einem mit einer pittoresken Kiefer bewachsenen Fels wandert der Blick des Betrachters über das spiegelglatte Meer hin zu der sich auftürmenden Wolke am Horizont. Zahlreiche Segelboote gleiten über das Wasser und beleben die friedvolle Szenerie. Aufgrund der rund 260 mit Kiefern bedeckten Inseln zählt die Bucht bei Matsushima zu den schönsten Landschaften Japans. Die Schönheit der Küstenlandschaft wurde in der japanischen Literatur und Kunst thematisiert und von Hiroshige mehrfach dargestellt. Wie auch bei den anderen Grafiken von Capelari tritt hier eine deutliche Affinität zu den japanischen Farbholzschnitten zutage, in Bezug auf die Komposition, die Reduktion von Details und das Spiel mit der Fläche. Charakteristisch ist auch die Verwendung des dunklen Blautons für das Meer und den Himmel, der Hokusais Landschaftsansichten zu ihrem Erfolg verhalf.

Friedrich Capelari
Der Berg Fuji

Farbholzschnitt
29 × 43 cm
Sammlung Peter Pantzer

Hinter einem braunen Erdmassiv erhebt sich majestätisch der schneebedeckte Fuji. Für europäische und amerikanische Reisende wurde der kegelförmige Vulkan zur japanischen Ikone schlechthin. In Japans Geschichte hat der Fuji eine große kulturhistorische Bedeutung. Im Shintôismus gehört er als Göttersitz zu den heiligen Bergen: Seit Jahrhunderten wird der Vulkan von Pilgernden besucht und in Literatur und Kunst thematisiert. Das Interesse der japanischen Bevölkerung am Fuji wurde von europäischen Kunstinteressierten geteilt. Hokusais Bilderserie »36 Ansichten des Berges Fuji« gehört zu den im europäischen Raum am häufigsten rezipierten japanischen Kunstwerken.

Emil Orlik
Am Biwa-See

Aquatinta-Radierung
23 × 18 cm
Sammlung Peter Pantzer

Emil Orlik macht die Kiefer zum Hauptakteur seiner Radierung. Sie steht auf einer Anhöhe am Ufer des Biwa-Sees. Zwei Japanerinnen genießen von dort den Ausblick auf das Wasser. Ihre Silhouetten fügen sich harmonisch in die Szenerie. Fasziniert von dem charakteristischen, sich windenden Geäst des Nadelbaums stellt der Maler die Kiefer immer wieder bildnerisch dar. 

Orlik konnte dabei an Kiefern-Darstellungen in der japanischen Kunst anknüpfen. Die immergrünen Bäume symbolisieren ein langes Leben und Beständigkeit, ihre Abbildungen befinden sich auf zahlreichen Stellschirmen. Das Motiv der Kiefer war den
Europäern bald vertraut. Der Reiseschriftsteller Bernhard Kellermann betonte, bei der Kiefer handele es sich um eine jener »charakteristischen Baumsilhouetten, wie die Japaner sie mit ein paar Pinselstrichen hintuschten«.

Franz Hohenberger
Waldweg nach Chuzenji

Gouache
63,5 × 48,3 cm
Sammlung Peter Pantzer

Ehrfurchtsvoll blickt ein Kind in leuchtend blauem Gewand zu einer großen steinernen Buddha-Statue empor. Vielleicht spricht es ein Gebet. Daneben reihen sich weitere sitzende und stehende Statuen an. Hochgewachsene Kiefern verschatten den Waldweg und verleihen dem Ort, trotz der blühenden Kirschbäume, eine mythische Atmosphäre.

Hohenberger greift in dem impressionistischen Gemälde den Topos vom Naturvolk auf, nachdem Mensch und Natur in einer engen Verbindung zueinander stehen. So bettet er die dargestellte Person ganz in die Natur ein und stellt sie angesichts der Umgebung verhältnismäßig klein dar. 

Aus Perspektive der Europäer wurde Japan generell als ein Land der kleinen Maßstäbe gesehen. Viele Reisebeschreibungen operierten mit Begrifflichkeiten wie Liliput, Puppen, Zwerge, Kinder, niedlich und zart. Mit der Unterdimensionierung schwingt mitunter unterschwellig eine Degradierung mit, denn was klein ist, kann erstaunen oder bezaubern, keineswegs jedoch zu einer Bedrohung werden.

Franz Hohenberger
Pagode im Tempelhain zu Nikkô

Öl auf Leinwand
75,5 × 55 cm
Sammlung Peter Pantzer

Das Ölgemälde zeigt einen buddhistischen Mönch im Tempelhain bei Nikkô. Er hat seine Kopfbedeckung abgenommen und ruht kontemplativ auf den Wurzeln einer mächtigen Zeder. In der rechten Hand hält er eine Gebetskette und mit der Linken umgreift er einen schmalen Stab. Sein Gewand wird von einer schmalen, grünen Schärpe geziert, die in einer
Kordel (hangesa) endet. 

Zwischen den dunklen Zedern, die der Szenerie das mythische Flair verleihen, wird die fünfgeschossige Pagode des Tôshô-gû-Schreins sichtbar. Dieser Shintô-Schrein wurde zu Ehren von Tokugawa Ieyasu (1543 — 1616), dem Gründer der Tokugawa-Dynas-
tie, errichtet. Der Schrein vereint sowohl shintôis-tische als auch buddhistische Andachtsstätten.

Die Darstellung von Mönchen gehört zum festen Repertoire der Reisebilder. Der Buddhismus und die vermeintlich genuin japanische Spiritualität wurden von Kunstschaffenden und Intellektuellen zum Vehikel für eine Kritik an der eigenen Gesellschaft. Besonders in einigen nach einem tieferen Sinn suchenden Kreisen der Pariser Gesellschaft sowie in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden die buddhistischen Lehren diskutiert.